Respekt für Griechenland. Der Balkon – Wehrmachtsverbrechen in Griechenland. - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 28.03.2019


Respekt für Griechenland. Der Balkon – Wehrmachtsverbrechen in Griechenland.
Respekt für Griechenland/AVIVA

Der Verein Respekt für Griechenland macht in seinem Positionspapier auf die im öffentlichen Diskurs ungenügend beachteten von der Deutschen Wehrmacht und Waffen-SS begangenen Verbrechen aufmerksam und fordert Unterstützung auf mehreren Ebenen. AVIVA-Berlin unterstützt diese Forderungen: Rückzahlung des Zwangskredits Griechenlands an das "Deutsche Reich", Rückzahlung des Lösegelds für jüdische ZwangsarbeiterInnen in Thessaloniki, Einrichtung eines Fonds zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums unter besonderer Berücksichtigung von "Märtyrerdörfern". Mehr Informationen zum Hintergrund sowie die Liste der ErstunterstützerInnen in diesem Beitrag auf AVIVA-Berlin




An dieser Stelle veröffentlicht AVIVA-Berlin das Positionspapier des Vereins Respekt für Griechenland von März 2019



Wir sind eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in Griechenland in der Flüchtlingshilfe engagieren, dort Klimaschutzprojekte machen und Selbsthilfegruppen unterstützen. Durch unsere Zusammenarbeit mit Griechen wissen wir, wie fest unter einer beruhigten Oberfläche die Verbrechen von Deutschen im Zweiten Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Zugleich mussten wir erkennen, wie beschämend gering die Bereitschaft Deutschlands war, Griechenland beim Aufbau seines zerstörten Landes zu helfen und die Leidtragenden zu entschädigen.

Griechenland war, außer als Ferienland, erstaunlich lange aus dem Blickfeld der meisten Deutschen geraten. Der Konflikt zwischen Deutschland und Griechenland zur Schuldenkrise hat den Nebeneffekt, dass die beiden Länder sich näher gekommen sind. Die neue Aufmerksamkeit gegenüber Griechenland holt aber auch den lange verdrängten Besatzungsterror in das Bewusstsein der Nachgeborenen. Und so wächst die Einsicht, dass weitere Kompensationen geboten sind.

Die von Deutschland begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erscheinen mit wachsendem Zeitabstand nicht geringer, werden vielmehr durch zunehmendes Wissen und neue Bewertungen immer größer. Das zeigt sich gegenwärtig bei Griechenland. Die Verpflichtungen aus der Kriegsschuld sind mithin keineswegs "erledigt" und werden auch zukünftig, wenn der Blick sich weiter schärft, nicht "erledigt" sein.

Unabhängig davon, ob die strittigen Reparationsfragen noch einmal mit Griechenland verhandelt und zu einem Ergebnis geführt werden, lassen sich heute aus politischer und moralischer Verpflichtung und auch mit rechtlichen Gründen Forderungen benennen, die kurzfristig umsetzbar sind und auch mit Verweis auf etwaige Reparationsabkommen oder Präzedenzfälle nicht abgewiesen werden können.

Die Bundesrepublik Deutschland hat über die Jahre, immer unterhalb von Rechtsansprüchen, mit einzelnen Ländern "indirekte" oder "außergesetzliche" Beiträge zur Wiedergutmachung vereinbart und für bestimmte Verfolgtengruppen Fonds oder Stiftungen, die humanitär und moralisch begründet wurden, eingerichtet. Das alles ist nicht ausreichend, dennoch setzen wir hier an.

Wir richten drei Forderungen, die wir für vordringlich und für zeitnah erfüllbar halten, an den Bundestag und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland:

  • Rückzahlung des Zwangskredits Griechenlands an das "Deutsche Reich"
  • Rückzahlung des Lösegelds für jüdische Zwangsarbeiter in Thessaloniki
  • Einrichtung eines Fonds zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums unter besonderer Berücksichtigung von "Märtyrerdörfern".

    Rückzahlungen. Der Zwangskredit Griechenlands an das "Deutsche Reich"

    Die gegenwärtige griechische Regierung hat eine alte Forderung an Deutschland erneuert: Sie fordert die Rückzahlung eines Kredits, den die deutsche Besatzung von Griechenland erpresst hat. Die Zwangsanleihe wurde bereits bei der Pariser Reparationskonferenz 1945/46 von der griechischen Regierung als ein Sondertatbestand herausgenommen, ebenso bei allen späteren Verhandlungen zu Kriegslasten und Reparationen.

    Inzwischen ist hinreichend belegt, dass es sich nicht um Besatzungskosten, sondern um ein zinsloses Darlehen handelte. Rückzahlungen waren vertraglich vereinbart. Nachweislich wurden Teile des Kredits noch während des Krieges getilgt. Die noch offenen Beträge werden in offiziellen deutschen Dokumenten als "Reichsschuld" bezeichnet. Am Ende des Krieges betrug die Restschuld 476 Millionen Reichsmark. Ihr heutiger Wert beträgt ohne Zinsen schätzungsweise 7 Milliarden Euro, mit Zinsen 11 Milliarden Euro.

    In der hiesigen Gesellschaft, Wissenschaft und Politik sowie in den Medien mehren sich die Stimmen, die eine Rückzahlung für prinzipiell berechtigt halten. Um zu einer Klärung zu kommen, sollte Deutschland der griechischen Regierung anbieten, gemeinsam den "Vergleichs- und Schiedsgerichtshof innerhalb der OSZE" in Genf anzurufen. Eine Zuständigkeit ist gegeben. Ein solcher Schritt würde eine Gesprächsbereitschaft signalisieren, auf die Griechenland seit Jahrzehnten wartet.

    Lösegeld für jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Thessaloniki

    Am 11. Juli 1942, einem Schabbat, mussten sich alle jüdischen Männer im Alter von 18 bis 45 Jahre zur Registrierung auf dem "Platz der Freiheit" einfinden. Sie wurden drangsaliert und gedemütigt. Das war der erste öffentliche Akt der Judenverfolgung in Thessaloniki. In der Folgezeit wurden mehrere tausend jüdische Männer u. a. zum Bau von Militär-straßen gezwungen. In den Arbeitslagern herrschten miserable und brutale Lebensbedingungen. Es gab Seuchen und Erschießungen.

    Um ihre Söhne und Männer zu retten, ließ sich die Jüdische Gemeinde auf ein Abkommen mit dem Chef der Wehrmachtsverwaltung, Max Merten, ein: Den Freikauf der Zwangsarbeiter gegen ein Lösegeld von 3,5 Milliarden Drachmen (damals 38 Millionen Reichsmark bzw. 69 Millionen US Dollar). Die Gemeinde konnte aber in der kurzen Zeit von zwei Monaten nur 2 Milliarden Drachmen aufbringen. Notgedrungen willigte sie ein, dass an Stelle der fehlenden Summe der alte jüdische Friedhof zerstört und als Bauland der Stadt Thessaloniki übereignet wurde. Mit Marmorplatten und anderen Grabsteinen wurde z.B. ein Schwimmbad für deutsche Offiziere gebaut. Bis Mitte Dezember 1942 wurde das Lösegeld in Raten bezahlt. 7.500 jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen kamen frei. Einige Monate später aber wurden sie zusammen mit über 46.000 Juden und Jüdinnen aus Thessaloniki nach Auschwitz in den Tod geschickt.

    Die Jüdische Gemeinde fordert das Lösegeld von Deutschland zurück. Seinen heutigen Wert setzt sie mit 45 Millionen Euro an. "Respekt für Griechenland" unterstützt diese Forderung aus folgendem Grund: "Es ist an sich schon ein Verbrechen, Menschen als Zwangsarbeiter zu missbrauchen. Sie nach Zahlung eines Lösegelds freizulassen und kurz drauf zu ermorden, ist so schrecklich, dass alle, die davon gehört haben, diese Schandtat nie mehr vergessen können."

    Fonds zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums - unter besonderer Berücksichtigung von "Märtyrerdörfern"

    In Griechenland haben die Deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS während der Besatzung mehr als 1.000 Dörfer ganz oder teilweise zerstört und viele tausend Zivilisten und Zivilistinnen umgebracht. Die deutschen Befehlshaber wollten damit den Widerstand der Partisanen gegen die Besatzung brechen, allerdings erfolglos. Auf Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht sollten für den Angriff auf einen deutschen Soldaten oder dessen Ermordung 50 bis 100 Geiseln erschossen werden. Die deutschen Truppen wurden darüber hinaus ermächtigt, auch Frauen und Kinder zu töten. Schließlich genügte der Verdacht der Partisanenunterstützung, um Dörfer niederzubrennen und Bewohner und Bewohnerinnen zu ermorden.

    Der Wiederaufbau von Dörfern und Städten wurde von der Bundesregierung zu keiner Zeit unterstützt, obwohl zahlreiche Bürgermeister in den 50-er Jahren darum baten. Aber auch sonst erhielt Griechenland von Deutschland keinerlei Aufbauhilfe. In der Nachkriegszeit und lange danach ordnete die deutsche Bundesregierung den Besatzungsterror unter "allgemeine Kriegsfolgen" ein. Noch 1995 bezeichnete die Deutsche Botschaft in Athen in einem Schreiben an Argyris Sfountouris das Massaker in Distomo "als Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung". Inzwischen sehen nicht nur Griechen, sondern immer mehr Deutsche darin Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber auch die Sicht deutscher Politiker und Politikerinnen hat sich verändert. Bemerkenswert ist, dass sich der Deutsche Botschafter in Athen, Jens Plöttner, in einer Rede am 26. Mai 2018 von Aussagen seiner Vorgänger distanziert hat: "Manch` offizielle Korrespondenz aus den letzten Jahrzehnten –auch von der Deutschen Botschaft - ist in ihrem Duktus schwer zu ertragen. Dafür schäme ich mich und dafür möchte ich mich bei Ihnen, Herr Sfountouris, heute entschuldigen." Nachdem die in Griechenland begangenen Verbrechen zunehmend in der deutschen Gesellschaft und Politik erinnert und benannt werden, ist die Zeit reif dafür, den Worten nunmehr Taten folgen zu lassen, und zwar ohne weiteren Aufschub und unabhängig von einer Klärung der Reparationsfragen.

    Ein Angebot an Griechenland könnte ein Entwicklungsfonds für den ländlichen Raum sein. Vorrangig sollten diejenigen Dörfer und kleinen Städte bedacht werden, die unter dem deutschen Besatzungsterror vor allen anderen gelitten haben. Solche Orte werden in Griechenland seit 1998 offiziell "Märtyrerdörfer" genannt. Sie werden nach bestimmten Kriterien, nachdem die historischen Fakten durch eine Kommission geprüft wurden, in die "Liste der Märtyrer-dörfer und -Städte Griechenlands" aufgenommen. Die Liste umfasst inzwischen an die 100 Orte. In einem Beitrag zu ihrem Erhalt und zu ihrer nachhaltigen Entwicklung sehen wir heute nach 75 Jahren die bestmögliche Antwort auf die deutschen Massaker. Der Fonds wäre in allen kommunalen Bereichen verwendbar, so z.B. in der Landwirtschaft, im Tourismus, im Handwerks- und Produktionsbereich, für erneuerbare Energien, in Kindergärten, Schulen oder Berufsbildung, in der medizinisch-sozialen Versorgung alter Menschen. Da die Märtyrerdörfer in der Regel einem Gemeindeverbund angehören, käme der Fonds direkt oder indirekt auch umliegenden Ortschaften zugute.

    Anders als der Deutsch-Griechische Zukunftsfonds, der seit 2015 besteht und jährlich mit 1 Mio. € ausgestattet wird, richtet sich der hier vorgeschlagene Fonds nicht explizit auf Erinnerungsarbeit oder Versöhnung. Deren Förderung durch Kooperationen in Wissenschaft, Kultur und Bildung ist zweifellos wertvoll, kann aber nicht alles sein. Ergänzend möchte der Entwicklungsfonds die materiellen Grundlagen für gute Lebensbedingungen im ländlichen Raum verbessern. Und dies unabhängig davon, ob die NS-Opfer und weitere Bewohner sich längst mit "den Deutschen" versöhnt haben oder sich gar nicht versöhnen wollen.

    Als Höchstgrenze der Förderung pro Dorf/ Kleinstadt werden 600.000 € angesetzt, als durchschnittliche Summe 300.000 €. Bei geschätzt 50 beteiligten Ortschaften sind 15 Millionen Euro notwendig, die in den kommenden 5 Jahren mit jeweils 3 Millionen Euro in den Bundeshaushalt einzustellen sind.

    Maßnahmen, die einer gemeinwohlorientierten Entwicklung dienen, schlagen die einzelnen Kommunen unter Beteiligung ihrer Bewohner vor. Über die Anträge entscheidet eine Kommission, der neben unabhängigen, mehrheitlich griechischen Gutachtern auch Vertrauenspersonen des "Netzwerks der Märtyrerstädte und -Dörfer" angehören. Mit der Unterstützung bei der Entwicklung und Durchführung der Projekte wird eine griechische, nicht-staatliche Einrichtung beauftragt, die ein transparentes Verfahren gewährleistet.

    Von den bestehenden EU-Programmen soll sich der deutsche Fonds durch die Vielseitigkeit seiner Verwendungsmöglichkeiten unterscheiden und durch ein einfaches Antragsverfahren auszeichnen. Er sollte zudem, falls gewünscht, Kommunen beim Einwerben zusätzlicher EU-Fördermittel behilflich sein.

    "Der Balkon. Wehrmachtsverbrechen in Griechenland"
    Dokumentarfilm von Chrysanthos Konstantinidis
    Griechenland 2018, 101 Min. / Original mit deutschen Untertiteln
    "Nicht vergessen" ist das Leitmotiv dieses eindrucksvollen Films.
    Lyngiades, ein Dorf in Nord-Griechenland: wegen seiner wunderbaren Aussicht der "Balkon" genannt. Doch die Idylle war Schauplatz eines Massakers, das hierzulande (in Deutschland) noch viel zu wenig bekannt ist. Am 3. Oktober 1943 ermordeten die deutschen Besatzer 82 Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen und zerstörten fast alle Häuser.

    Der Rechtshistoriker Christoph Schminck-Gustavus aus Bremen recherchierte und dokumentierte vor drei Jahrzehnten die Hintergründe dieses Verbrechens (s. sein Buch "Der Feuerrauch"). Jetzt führt er durch den Film. In diesem hören die Nachkriegsgenerationen am Ort, oft erstmalig, Erinnerungen von Überlebenden. Es sind Dokumente der Trauer vor dem Hintergrund eines kollektiven Traumas. Und es sind Einblicke in die unterlassene Aufarbeitung in Deutschland und in die verweigerte Wiedergutmachung.

    Der Balkon – Wehrmachtsverbrechen in Griechenland (OmU)
    Griechenland 2018, 101 min, Regie: Chrysanthos Konstantinidis

    Mehr Informationen unter: respekt-für-griechenland.de

    Die vollständige Liste der ErstunterstützerInnen, darunter Persönlichkeiten aus der Politik, aus Kultur und Wissenschaft, sowie Initiativen und Organisationen: respekt-für-griechenland.de

    Literatur zum Thema

    Mark Mazower, Griechenland unter Hitler, Engl. Originalausgabe 1995. Deutsche Ãœbersetzung 2016
    Rena Molho, Der Holocoust der griechischen Juden. Studien zur Geschichte und Erinnerung. Deutsche Ãœbersetzung 2016
    Hagen Fleischer / Despina Konstantinakou, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in:
    Hans Günter Hockerts u .a., Grenzen der Wiedergutmachung, 2006, S. 375-457
    Katerina Kralowa, Das Vermächtnis der Besatzung. Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940, 2016
    Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner, Reparationsschuld, 2017


    Quelle / V.i.S.d.P. Hilde Schramm, Respekt für Griechenland e.V., Positionspapier / März 2019


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    Beitrag vom 28.03.2019

    AVIVA-Redaktion